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Schweden - Rückblick auf ein halbes Jahr Dezember 2012
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“Opportunities are like sunrises; if you wait too long you will miss them.”
anonymous
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Alles ist möglich, das haben wir schon mehrfach im Leben erfahren.
Globalisierung 'is a curse and a gift' und Firmen wollen manchmal besser miteinander arbeiten.
Cummins und ich haben uns gefragt, ob meine Familie und ich nicht für ein paar Jahre nach Schweden
zu Scania gehen wollen, und weil wir Nordeuropa schon immer interessant fanden, kommt uns gelernten Europäern
dieser Wechsel auf Zeit überhaupt nicht ungelegen.
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Die grösste mentale Hürde für uns war das zeitweilige Zurücklassen unseres schönen Hauses und
für Jana die Aufgabe ihres gerade so gut angelaufenen Teegeschäfts.
Das Gute an dieser Sache ist dann aber die Möglichkeit gründlicherer Reflexion und der Neuorientierung.
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Das Scania Technical Center liegt in Södertalje, ungefähr 30 km südwestlich vor Stockholm, der
selbstdeklarierten Hauptstadt Skandinaviens.
Viel Auswahl hatten wir ohnehin nicht, aber unser neuer Lebensmittelpunkt liegt in einem
älteren Stadtteil Södertäljes eine Viertelstunde von Stadtzentrum und von Scania entfernt.
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Södertälje hat mehr Flüchtlinge während des Irak-Krieges
aufgenommen, als die USA und Kanada zusammen. Ein paar Daten aus dem Jahr 2010:
Die Kommune beherbert gut 85000 Einwohner,
mit einem Durchschnittsalter von 39 Jahren und einem Ausländeranteil von 43%. 9% davon sind aus dem Irak,
8% aus Finnland, 7% aus Syrien, 6% aus der Türkei. In der Kommune werden 80 Sprachen gesprochen. 5700 Firmen
beschäftigen über 46000 Leute.
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Wie zu erwarten ist dieser hohe Immigrationsanteil nicht unproblematisch. Bei unserer Häusersuche im Mai des Jahres hat
man daher eindeutig versucht, uns davon abzubringen in Södertälje unser Zelt aufzuschlagen.
Aber erstens wird nicht alles so heiss gegessen und zweitens haben sich hier auch schwedische Freunde,
die wir in Columbus kennengelernt haben, nach ihrer Rückkehr angesiedelt. Als Fazit, ganz klar,
für immer wäre das nix, aber für eine begrenzte Zeit geht das alles.
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Wir begrüssen, dass wir hier einen anderen Lebensstil als in Columbus führen.
Wir machen's wie die Schweden und haben viel Bewegung, und legen grossen Wert auf Freizeit und deren
sinnvolle Ausfüllung.
Wir geniessen die reichhaltige Auswahl an verschiedensten Lebensmitteln, mehr dazu weiter unten.
Speziell unsere Wochenendaktivitäten sehen hier auch ziemlich anders aus. Es gibt bis auf das
Rasenmähen quasi keine zwingenden Aufgaben in Haus und Hof. Am Anfang haben wir noch
geräumt und ein paar Bilder aufgehängt, aber seitdem das erledigt ist, verbringe ich
mehr Zeit mit den Kindern und bei gemeinsamen Unternehmungen.
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Das ist nicht alles billig und Schweden ist teuer, keine Frage. Wenn uns Cummins nichts zuschiessen würde um die erhöhten
Lebenshaltungskosten auszugleichen, würden wir ganz schön dumm aus der Wäsche gucken.
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Unsere sprachlichen Anfänge in den USA waren nicht leicht,
aber eine Sprache überhaupt nicht zu können versetzt uns hier in eine vollkommen neue Lage.
Nun machen es uns die Schweden zwar nicht gerade schwer, English ist sehr weit verbreitet,
manchmal auch Deutsch, aber es ist auch schon mal beim beiderseitigen Schulterzucken geblieben.
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Wir alle haben Sprachkurse belegt, aber erwartungsgemäß werden Jana und ich von unseren Jungs,
und momentan besonders von Felix, um Längen geschlagen.
Ich kann zehnmal ein schwedisches Wort aussprechen, Felix korrigiert mich immer noch.
Henny macht es sich manchmal einfach, wenn er ein Wort in Schwedisch nicht weißt,
„schwedet“ er es einfach „ein“. Da bleibt ein Lacher nicht aus.
Und nicht zuletzt sorgt manch schwedisches Wort für Heiterkeit, siehe Bild. Man muss den Schweden auch
anerkennen, kein "Schwenglisch" zu erzeugen, sondern Entsprechungen zu finden. Software heisst dann
tatsächlich Weichware, 'Mjukvara'.
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In Schule und Kindergarten gehen die Kinder jeden Tag hinaus an die frische Luft.
Die Kriterien für Schlechtwetter werden in der Regel nicht erfüllt.
Letzten Winter hat's Henry leicht, Jana zieht ihn auf dem Schlitten zur Schule und wieder nach Hause.
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Ein paar Momente eines typischen Tages in Henrys Schule spiegeln
die bei einem Elternabend gezeigten Bilder wieder:
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Felix geht in eine ganz reguläre öffentliche Schule. Auch hier gilt der Grundsatz, dass die Kinder
in erster Linie Spass haben sollen und erst langsam an reguläre Tests und Benotung herangeführt werden sollen.
Mehr als er es gewohnt war wird Felix hier aber auch groben Klassenkameraden ausgesetzt,
mitunter ganz so, wie Jana und ich es noch als Kinder kennengelernt haben.
Den Kontakt zu seiner Schule in Columbus lassen wir nicht abreissen. Jana hilft ihm mit einem Blog
und in unregelmässigen Abständen werden sogar kurze Briefe ausgetauscht.
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Ganz dick auf der Plusseite ist natürlich das Klima.
Dank nordischer Temperaturen können wir endlich auch mal wieder im Sommer den Tag nichtschwitzend
auf der Terrasse verbringen.
Im Mittel sollen es nicht mehr als siebzehn Grad im Juli in Stockholm werden.
Und dazu bleibt die Luftfeuchte im Rahmen. Nach zehn Jahren Mittleren Westen der USA ist das eine Erholung.
Und dann natürlich der Winter mit Schnee und gefrorenen Seen. Da schlagen unser aller Herzen
höher.
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Tja, und die kurzen Tage im Winter? War gar nicht so schlimm. Der Dezember ist dunkel, aber das passt zur Weihnachtszeit.
Und ab Mitte Februar geht's rasant aufwärts. Vielleicht müsste ich auch mal eher anfangen mit der Arbeit, aber zumindest in der
Früh bin ich eigentlich nie im Zappenduster zur Arbeit gefahren.
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Wir nutzen die Chance, unseren Jungs ein paar Kurse im Schifahren und dergleichen angedeihen zu lassen
bzw. endlich mal wieder unsere verstaubten Langlaufski zum Einsatz zu bringen.
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Von allen Bildern von uns Vieren wollen wir speziell das mittlere oben nicht vergessen.
Sein Schlitten war ihm zwar gerade unter dem Arm weggerutscht, Felix hat sich aber nichts anmerken lassen.
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Wir haben auch unsere Fahrräder hierher verschifft und können sie hervorragend nutzen.
Auch sind wir wieder auf die Genüsse des Gehens gekommen.
Viel lässt sich ohne Auto erledigen und es gibt ja bekanntlich kein schlechtes Wetter.
Die Schweden erscheinen mir da mitunter recht hartgesotten, Regen zwingt nicht automatisch
zu Regenschirm oder Kopfbedeckung.
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Eine Zeitlang hatte ich auf meinem Fahrrad sogar die besseren Reifen, d.h. mit Spikes.
Kein Witz: einmal nach einer Fahrt zur Arbeit, also erst nach dem Absteigen, komme ich ins Rutschen.
Das mit den Spikes habe ich aber später am Auto nachgeholt.
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Mit Lob zu den Lebensmitteln versuche ich mich zu beschränken. Es gibt es eine gute und gesunde Auswahl.
Zum Beispiel beim Joghurt, Vergleichbares haben wir eigentlich noch nicht gegessen.
Ohne Zusätze, wenig Fett, und mit einer feinen Säure.
Meine geliebten Pfifferlingen haben wir bis weit in den Oktober erstehen können.
Bei den Kartoffeln haben wir eine sehr große Auswahl, die richtig mehligen sind auch dabei.
Und wie sollte es anders sein, Fisch wird hier groß geschrieben. Wir haben viel durchprobiert,
oft bleiben wir bei den Strömmingen, Ostsee-Heringen, hängen. Die sind leicht zubereitet,
und die Kinder schlemmern sie weg.
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Bis auf meinen Harzer Käse werden wir auch auf der Käseseite glücklich.
Auch ist man nicht gezwungen, eines dieser überdimensionalen mit allerlei Ungesundem verzierten Eis zu kaufen,
wenn man mal eins am Stiel will.
An deutsche Feinbäckerei kommt das Angebot hier nicht heran, andererseits gibt es herrlichen
Beeren-Streuselkuchen und natürlich den einzigartigen Princess Cake.
Die ersten Wochen und Monate haben wir wie im Rausch gekauft und gekostet.
Kann nicht so schlecht sein, wenn sogar die Kinder unaufgefordert Wohlgeschmack äussern.
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Und die Kaufhallen, aka Supermärkte, haben täglich bis 22 Uhr geöffnet.
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Ungespritztes Obst und Beeren finden wir in unserem Garten oder mit fünf Minuten Weg im angrenzenden Waldstück.
Das ist fast ein bisschen unwirklich.
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Europäischer Lebensstil spiegelt sich natürlich auch in den Klamotten wieder.
Selbst unseren Jungs sitzen die T-Shirts plötzlich viel besser - bei gleicher nomineller Grösse. Und nach einem halben Jahr
fängt bei mir auch endlich wieder die Hose an zu rutschen.
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Aber auch, andere Kultur, andere Norm für physische Nähe im öffentlichen Raum.
Wir empfinden das Durchquetschen und Vorbeistreichen
als unangenehm.
Beim Stadtbummel habe ich immer noch das Gefühl,
immer kurz vor einem Zusammenprallen mit anderen Passanten zu stehen.
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Uns fehlt eine Wochenendzeitung. Schwedisch ist halt mühsam und die deutschen Verlage würden Unsummen für eine
Auslandslieferung verlangen.
Lediglich eine Audio gönne ich mir.
Ein paar US-Magazine beziehe ich elektronisch, aber das ist nicht das gleiche.
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Wir wurden mehrfach vorgewarnt und wir erfahren es oft,
im Dienstleistungsbereich macht den USA so schnell keiner was vor.
Für Internet und Telefon mussten wir zum Beispiel geschlagene drei Wochen warten,
aber sonst leben wir zum Glück weitgehend hausprojektfrei und die
Immigration verlief auch dank Cummins’ Hilfe problemlos.
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Wir haben deutsches Fernsehen über Satellit. Die volle Breitseite.
Nach einem halben Jahr waren wir weitgehend satt und
haben den täglichen Fernsehkonsum wieder auf nur ein paar Fernsehabende pro Woche reduziert.
Keine Frage, manche Sendung ist ihre Zeit wert, aber das Meiste ist einfach nur Mist.
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Wie schon gesagt, wir können mit dem nordischen Klima und Licht eine Menge anfangen.
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Nachdem wir seit zweitausendundelf nicht mehr viel rumgekommen sind, haben wir den Spiess seit der zweiten
Jahreshälfte zweitausendundzwölf rumgedreht: gleich im ersten halben Jahr mal wieder Deutschland,
ausgesuchte Stücke in Mittelschweden,
und sogar bis weit über den Polarkreis zum Jahresende.
Diese Zeit in Schweden wird sicher viel zu schnell zu Ende sein,
aber wir freuen uns auf alles was wir noch schaffen werden.
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Abgesehen von der sogenannten letzten Wildnis Europas, Lappland, ist im dicht besiedelten Europa allerdings kaum mehr möglich,
was mich so an den USA reizt:
... in America we tend to adhere to a particular style of photography.
For instance, by and large, landscape photographs should be pristine and devoid of any human influence –
no structure of any kind, no altered scenery, no evidence that human feet have ever set foot in the area.
In fact, we tend particularly to treasure images that represent a vista so remote that it has never photographed before.
These are the highly revered landscape photographs.
Christopher Robinson, Editor Outdoor Photographer
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Offene Feuer und Kerzen findet man im Winter überall für Licht, Wärme, und zum Feiern.
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Zu Weihnachten gibt es weniger Besinnlichkeit als wir es von Deutschland her kennen,
dafür mehr Ausgelassenheit. Auf den weniger und zeitlicher begrenzten Weihnachtsmärkten steppt der Bär.
Auch feiert man Sankta Lucia und die Wintersonnenwende. Zu letzterer wirft man Wünsche für das neue Jahr
und für Dinge, die man vergessen will, ins Feuer: Isenbrinner, The Fire of Desire.
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Der hausärztliche Ratschlag bei kurzen Tagen heisst Licht. Zum Glück ist IKEA nur zwanzig Minuten entfernt.
Aber selbst wenn wir keine Lampen aufrüsten müssen läuft man Gefahr, uns dort anzutreffen.
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Und spätestens beim Plätzchenbacken wird klar, wir sind in Schweden.
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Als ich einmal beim Mittagessen meinen Arbeitskollegen gegenüber die Meinung äusserte,
dass ich wenig Gründe für jemanden sähe,
Schweden zu verlassen
meinten sie, ich wäre willkommen zu bleiben.
Na, schauen wir mal :)
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