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Schweden - Rückblick auf drei Jahre
1. Juli 2012 bis 30. Juni 2015


“Twenty years from now you will be more disappointed by the things that you didn’t do than by the ones you did do.”
Mark Twain



Keine Frage
...war die Zeit in Schweden toll. Einmalige Erfahrung für mich, für uns. Extrem viel gesehen, erlebt, dazu gelernt und gewachsen. Wir haben eine super gute Zeit gehabt bzw. daraus gemacht. Und, ein insgeheimer Wunsch ist in Erfüllung gegangen.




Doch wie überall, kommen auch tolle schwedischen Lebensumstände mit Kompromissen. Vielleicht haben wir zuviel erwartet, aber leider verleiden sich die Leute ihre heile Welt manchmal selbst. Und ganz billig ist das Leben dort eben wirklich nicht.
Mit dieser Erfahrung zurück in den USA und in die Zukunft schauend ist es für uns allerdings eher wie „Kein Ort. Nirgends.“ Alles Gute ist nunmal nie beisammen bzw. nur weil wir wissen was wir wollen, ist es nun nicht unbedingt leichter, einen für uns optimalen Flecken zu finden.


Aber zurück zum Rückblick: Wie gesagt, was haben wir die Zeit genutzt. Nach anfänglicher Zurückhaltung kannte ich gar nichts mehr je näher das Ende rückte. Da können sich selbst die Schweden eine Scheibe von abschneiden – es sei denn sie sind auf Elternzeit, da konnten wir dann doch nicht mithalten - das wäre noch der Hammer gewesen.
Das heißt aber nicht, dass man mit meiner Arbeitsleistung unzufrieden war, im Gegenteil, soweit ich das aus den Rückmeldungen ableiten kann. Hatte ja doch über die Jahre einiges gelernt und außerdem großen Spaß bei Scania und so ergab eines das andere.

Das Klima in Schweden taugt mir grundsätzlich.
Die langen Sommerabende sind fantastisch.
Und die kurzen Wintertage waren auszuhalten.
Obwohl wir unbedingt Indiana’s Sommerhitze und alles erdrückender Luftfeuchte für eine Weile entfliehen wollten, waren wir ob der angesagten durchschnittlichen Höchsttem- peratur von nicht mal 20 Grad um Stockholm zunächst aber doch etwas besorgt. Unbegründet, wie sich zeigen sollte. Reicht vollkommen aus, solange die Anzahl der Sonnentage ausreichend ist. Das ist es allerdings, was die Schweden massenhaft den Urlaub im Ausland verbringen lässt. Dabei sollte man eher im Frühling in den Süden, wenn man denn muss, und dafür im Sommer im schönen Land bleiben. Mir konnte es im ersten Jahr fast nicht kühl genug sein, mir war als ob ich immer noch Hitze loswerden musste. Im dritten Jahr dagegen konnte ich die Schweden zumindest verstehen.

Rumgekommen
Noch mal zurück zu unseren zahlreichen Unternehmungen und unser Leben in Södertälje:
Vielmehr als ursprünglich gedacht waren wir also in der Natur unterwegs. Ich hätte doch mehr Campingzeugs in den Umzugscontainer stecken sollen.
Die schwedischen Nationalparks sind etwas anders aufge- zogen als die amerikanischen, man setzt mehr auf den Ge- meinschaftssinn. Das und spärlichere Besucherzahlen ha- ben die Hüttenwanderungen für uns entdecken lassen. Im Winter und wenn es nicht anders ging war aber auch mal eine solide Fjällstation angesagt. Dort lässt man es sich gut gehen, die Zimmer sind rustikal und das Essen vom feinsten. Typischerweise kommen dann Rentier und Pfifferlinge in die Pfanne. Backpacking wird auch sehr groß geschrieben, aber gerade mit kleineren Kindern bieten sich eben die urigen Hütten, teilweise kostenlos and auf first come - first serve Basis, an. geradezu an.
Wir haben eigentlich nur gute Erfahrungen mit unseren Wanderungen gemacht und speziell so was vermisse ich jetzt schon in den US.
Klar waren wir auch bei Ikea. Zur Genüge. Zu schade, dass wir uns nicht neu einrichten müssen. Anfänglich konnten wir von den original Kottbullar nicht genug kriegen, später konnten wir sie nicht mehr sehen. Felix und Henry waren gerne im Småland, Jana und ich waren meistens erst auf einen Kaffee vor unseren Tingelrunden.
Zunächst war ich nicht so von Stockholm begeistert. Die Architektur und z.B. auch der Weihnachtsmarkt bei Skansen wirkten recht grob auf mich. Aber das hat sich schnell gelegt. Alles „lagom“, also genau richtig, gut ausgewogen. Und eine Stadt auf 13 Inseln gebaut ist sowieso besonders. Erstaunlich, welche modische Eigenständigkeit die Stadt so hervorbringt.
In Deutschland waren wir in diesen drei Jahren insgesamt viermal. Auch nach Graz haben wir es nach langer Zeit mal geschafft.
Als Neuland haben wir Dänemark (Jüt- und Legoland), Norwegen und die Niederlande (Amsterdam, Texel) jetzt auf der Liste.
Für die lange Reise von und nach Schweden haben wir immer eine der Ostseefähren gewählt, ein toller Teil des Urlaubs. Gerechterweise muss ich sagen, dass ich uns die Fahrten von Cummins habe sponsern lassen, eine Win-Win-Situation, Interkontinentalflüge für uns vier wäre die Firma einiges teurer gekommen (und so was wäre ja sowieso Quatsch, wenn wir schon mal die Gelegenheit haben, Familie zu sehen und Europa zu leben).
Und mit dem Auto: Cummins hat mir wie für die Hausmiete eine Festsumme für die Bereitstellung eines Autos von meinem Gehalt abgezapft. Das inkludierte also den Sprit, Parkgebühren, Wartung sowieso, aber auch sonst alles, was man mit den ebenfalls gestellten Gas Cards an einer Shell-Tanke kaufen kann.
Einen Anhänger ausleihen zum Beispiel. Damit sind wir z.B. nach Deutschland, indische Möbel einsacken, aber auch für dann doch mal endlich neue Betten bei Ikea oder eine gebrauchte Couch in Stockholm.

Mit dem Haus
...das war ja auch nicht ganz einfach. Dank Amy sind Jana und ich Ende Mai 2012 nach Schweden um uns mithilfe von Newcomers eine Unterkunft für die folgenden drei Jahre zu finden. Man wollte uns davon abbringen in Södertälje überhaupt in Erwägung zu ziehen, sogar im Norden Stockholms hatten die Wahnsinnigen Objekte zur Besichtigung herausgesucht, aber schlussendlich fanden wir ein passendes Objekt, nahe genug zu Schule, Arbeit und Stadtzentrum, wir konnten alles erlaufen bzw. erradeln, diesbezüglich ein Traum. Der Eigentümer hat keinen Käufer gefunden und wollte daher vermieten, allerdings nur für ein Jahr. Also sind wir kurz darauf ohne Newcomers noch mal zum ihm hin und haben ihm verklickert, dass er die Miete gerne höher ansetzten kann, im Budget ist noch Luft. So hatten wir dann einen Vertrag über drei Jahre. Für den nach unserem Auszug anstehenden Verkauf hat er es dann weiß streichen lassen (ursprünglich war es gelb), weil die Assyrer angeblich mit Weiß eher stabiler Steinbauten assoziieren, no kidding. (Unten Bilder vom Makler)
Ich glaube der gute Mann hat auch nie kapiert, dass er nicht mit uns sondern mit Cummins einen Mietvertrag hatte und ist uns zuweilen mit seltsamen Anwandlungen auf den Geist gegangen, z.B. seine zehn Obstbäume verschneiden, die er über Jahre vernachlässigt hat. So sind sie halt. Wir haben Rasen gemäht und die Blumenrabatten halbwegs in Schuss gehalten. Zum Glück wächst das Zeug nicht so wie in Columbus.
Neun Räume auf drei Etagen, aber alles extrem billig gemacht - Parkett ohne Schalldämmung, Fußbodenbelag und Tapete nur bis an die Schränke herangeklebt, offene Kontakte unter dem Dunstabzug, um mal die Highlights zu nennen.
Egal, wir hatten sogar eine Sauna, es hat allerdings einen Winter und ein paar Ausflüge ins Fjäll gebraucht, bis wir sie regelmässig und mit Genuss genutzt haben.
Die Akustik war zwar nicht so toll, aber ein Zimmer habe ich mir als Audio-Raum eingerichtet.

Für Jana habe ich im Kellergeschoss eine Schrankseitenplatte zum Künstlerarbeitstisch umfunktioniert.
Die direkte Nachbarschaft war angenehm. Sich grüssen, mal aushelfen und einfach umgänglich.
Leider sind zwei der Kinder aus der Strasse nach einem Jahr weggezogen. Das war unser Jungs erster schwedischer Kontakt (mit dem Ball spielen geht immer). Deren Vater, Jimmy (das „J“ als solches gesprochen) hat das zweite Weihnachten sogar richtig den Weihnachtsmann bei uns gespielt.

Unsere Strasse war recht ruhig, so haben wir am Abend oft noch ’ne Runde Fußball (besonders zur Weltmeisterschaft), Innebandy, oder Speedminton gespielt. Oft landete der Ball gegenüber bei Herrn Johansson, wie Felix sicher noch weiß...
Hatte ich schon gesagt, dass wir mit der Lage ganz zufrieden waren? Die lästigen Mopeds gegenüber waren mitunter ein Problem oder wenn mal jemand früh um sechs mit klickenden Wanderstöcken die Strasse abläuft, aber das ist wohl in Wohnsiedlungen so.
Henry's Kindergartenweg und mein Arbeitsweg führten zumindest zum Teil durch's Grüne. Besser kann man es nicht haben.

Der Besuch
...bei uns in diesen drei Jahren hielt sich in Grenzen:
Wolfgang und Anita, sowie Manja und Sven, worüber wir uns gefreut haben.
Wolfgang und Anita haben Jana und mir exklusiv eine wunderschöne Woche Wandern in Jämtland ermöglicht. Das war super toll. Manja und Sven wollten mal ein bisschen in Schweden rumtingeln.
Meine Verwandtschaft hat leider noch nie von sich aus den ersten Schritt getan.

Vielleicht wollte sich Santi die anstehenden Strapazen des Umzugs in die USA nicht antun, jedenfalls haben wir für seine letzte Ruhestätte einen geeigneten Flecken im hinteren Teil des Obstgartens gefunden.


Damit direkt zur Schule
Während unseres Pre-Visits im Mai '12 haben wir auch designierte Schulen und Kindergärten besucht. Direkt nach der Unterstützung für lernwillige Kinder gefragt sind wir auf reges Echo gestoßen, nur wussten wir damals noch nicht, dass wir ausgerechnet die fähigsten und Interessiertesten Lehrer erwischt hatten, die im täglichen Betrieb dann auch keine Wunder vollbringen konnten. Praktisch sah es dann nämlich so in den Klassen aus, dass der Langsamste das Tempo bestimmte und sowieso eine saumässige Ordnung herrschte. Stänkern, Name calling, etc., Bullying also, was wir auch noch aus unserer Schulzeit kennen, sind nicht unüblich. Das darf es heute so nicht mehr geben. Da haben sie Nachholbedarf.
Im ersten Jahr kam Felix der ‚slack’ ja noch gelegen, schließlich hat er gut Schwedisch gelernt, aber dann hat nur der geplante Wechsel zurück zu CSA in Columbus für Motivation gesorgt.
Leider, richtige Freunde wurden sie nicht, seine Kumpels aus der Klasse. Zu oft haben sie ihn geärgert. Die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass das an der Internationalen Schule in Stockholm anders ausgesehen hätte, aber wir alle hätten mit anderen Lebensumständen umgehen müssen und haben uns nun mal so entschieden.
Bei Henry war es besser, die Klassen waren zum Glück noch durchmischter und er hat seinen bis dato besten Freund Martin kennen gelernt. Gelernt hat er allerdings auch zu wenig und es lief nicht alles rund. Kann mich noch erinnern, wie wir im Vor- bereitungsgespräch vielleicht 45 Minuten alles besprochen und auch spezielle Bedürfnisse und Sorgen angebracht haben, nur um am Ende des Gesprächs von der guten arabischstämmigen Frau gesagt zu bekommen, dass sie ab dem nächstem Tag nicht mehr da ist, sie aber alles ihrer Nachfolgerin erklären wird. Wir waren vor Fassungslosigkeit sprachlos.
Aber schließlich hat Henry ja den Sprung direkt in die 2. Klasse zurück bei CSA doch gemeistert. Und wir wollen nicht vergessen, dass schwedische Schule in den ersten sechs Jahren primär Spaß machen soll, damit die Kinder gerne kommen und dass die Kinder wirklich jeden Tag für mindestens eine Stunde draußen waren, und das quasi im Wald, dass großer Wert auf das Verstehen und nicht das Pauken gelegt wurde und letztlich auch dass das Schulessen meistens unserer Meinung von gutem Essen entsprach.
In diesem Sinne, ohne Frühstück sind wir nicht außer Haus. Und nicht einfach nur Müsli und so, nee nee, sondern richtig Aufbackbrötchen mit Marmelade und Kaffee gemeinsam am Tisch.
Ein Traum, die Jungs danach zusammen und ganz unbeschwert in die gleiche Schule losziehen zu sehen.

Leib und Seele
Um die gleiche Zeit wie die Jungs bin ich also auch aufgebrochen und habe mich aufs Rad geschwungen, auf mein altes Rennrad aus Grazer Zeiten. Anfänglich nur wenn die Wettervorhersage keinen Regen versprach, im dritten Jahr dann täglich, egal ob Regen, Schnee oder Eis. Dafür gibt es Regenklamotten und Spike-Reifen. Diese Reifen waren eine meiner besten Investitionen. Ein paar Bowdenzuege gingen schwer, da mussten neue rein, und kurz vor Ende der drei Jahre musste ich einen verschlissenen Schalthebel erneuern. Hingeflogen bin ich nur zweimal. Und schätzungsweise immerhin mindestens 5000 km bin ich damit in dieser Zeit gefahren.
Zunächst unmerklich, dann gezielt von mir unterstützt, habe ich im Laufe der drei Jahre gute zehn Kilo abgelegt. Ich fühle mich soviel besser. Es hilft nichts, man muss einfach an der Balance von Input und Output drehen. Primär waren da der tägliche Arbeitsweg, auch viel mehr Wege zu Fuß und natürlich die Bewegung an den Wochenenden. Wandern zum Beispiel, auch Schneeschieben, oder Eislaufen.
Oder auch Baden, im Måsnaren zum Beispiel (wenn er denn nicht gerade zugefroren ist).
Mit Felix habe ich dann vielleicht seit dem letzten Jahr jeden Abend ein paar Minuten Excercise gemacht. Liegestütze, 90 Grad, Planke und Klimmzüge – das letztere aber nur er :)






Und dann natürlich noch die Ernährung. Es ist so einfach an gesunde und wohlschmeckende Sachen heranzukommen.
Und viele der für uns neuen Dinge waren voll unser Geschmack. Erst etwas suspekt, aber dann der Hit, die Trattkantarell, haben uns dann sogar besser als die Pfifferlinge geschmeckt. Viel intensiver und gleich um die Ecke zu finden. Mindestens genauso gern erinnern wir uns an die Strömminge, kleine Ostsee-Heringe. Salz, Pfeffer, kurz angebraten, Kartoffelmus, ein Gedicht. Zunächst auch sehr ungewöhnlich, aber auf dem Weihnachtsmarkt über offenem Feuer gebraten, waren die auch schnell ein Renner bei mir und die Jungs haben immer mitgegessen. Eingelegte Heringe sowieso. Und Blaubeeren natürlich. Dann wilde Erdbeeren. Mir sind fast die Tränen gekommen ob der plötzlich auf mich einstürzenden Kindheitserinnerungen. Unbeschreiblich, dieser Duft in stehender Sommerhitze unter luftigen Kiefern. Last but not least, die Brieslinge, die vom Sardinenmeister, die Jungs sind ganz wild drauf und unsere Spezialität für Hüttenwanderungen und auch heute noch wird jede der importierten Büchsen zelebriert.
Es gäbe noch viel mehr aufzuzählen, aber na ja.
Schloss Taxinge haben wir dagegen bestimmt schon mal erwähnt...
Und weil wir gerade beim Essen sind: Die Schweden verstehen ihre Feste zu feiern.
Da lassen sie nix anbrennen. Wenn kein Feiertag direkt ansteht, dann gibt es sicher etwas zur Jahreszeit, dessen gedacht werden muss. Die Semlor zum Fasching zum Beispiel oder Krebse im August.
So leid es mir auch wegen unsrer Jungs tut, aber zum Glück, möchte man sagen, wird Halloween nur (erst) zögerlich begangen.
Ansonsten sind wir auf eine beachtliche Anzahl von Feiertagen gekommen, wenn wir die uns geläufigen plus neuen schwedischen zusammenzählen.
Mehr denn je hatten wir Zeit für festive Extravaganzen. Und wenn man erstmal vorlegt, sind die Jungs ganz schnell bei der Sache. An ihren Pfefferkuchenhäusern haben sie teilweise Tage gearbeitet.

Nochmal
...zur Arbeit.
Was ich von AVL her so kannte und geschätzt habe, auch bei Scania man kann sich mit den Kollegen quasi über alles unterhalten, Politik nicht ausgenommnen. Natürlich sind sich nicht alle einander grün und es herrscht auch ein gewisser Wettbewerb unter den Kollegen, aber bei Cummins zum Beispiel geht so was gar nicht. Dabei hat der Schwede es faustdick hinter den Ohren und sein Humor trocken wie nur was.
Also insgesamt läuft alles viel entspannter, weniger 'Overhead', 'Crap' und meetings, weniger darauf bedacht, dem Chef zu gefallen, mit dem Ergebnis größerer Freiheiten, Eigenmotivation und weniger Ellbogen.
Man ist freundlich und gibt mir einen Fensterplatz, von denen es ohnehin nicht wenige gibt. Die Tische sind nicht nur ausreichend dimensioniert, sondern man kann auch seine Beine frei ausstrecken. Auch lassen sich die Tischplatten motorisch in der Höhe verstellen, manche bevorzugen wie der berühmte Geheimrat zumindest zeitweise am Tisch zu stehen. Kaffee kostet auch nischt. Funny, als ausgerechnet der andere Cummins-Expat mir erzählen wollte, welcher Kaffee wo am besten schmeckt. Und die Kantine findet insbesondere bei Leuten, die was anderes als Fast Food von klein auf kennen, ungeteilte Anerkennung.
Wer nicht pünktlich nach Hause geht, hat sich seine Arbeit falsch eingeteilt. (Nicht von mir.)
Die Fika, die 9- und 15-Uhr Pause, ist vielleicht nicht heilig, wird aber von vielen ernst genommen. Das Aufsuchen von Kollegen oder Meetings werden nicht unbedingt gerne in diese Zeit gelegt. Dabei geht es gesellig zu, man trifft sich an großen Pausentischen und teilt mitgebrachte Leckerlie vom Bäcker.
Als gegen Ende zweitausendundzwölf bei Cummins als auch Scania die Verkaufszahlen die Erwartungen nicht erfüllten, hat man bei Cummins kurzerhand wieder ein paar(tausend) Leute rausgehauen, bei Scania wurde im Schulungszentrum die kostenlose Versorgung mit belegten Brötchen eingestellt.
Freitag bis fünf zu arbeiten war mir seit ich die AVL verlassen habe ein Graus. Das geht eigentlich gar nicht. Also habe ich für mich eingeführt, spätestens um drei den Hammer fallen zu lassen, da war der Leif mir gegenüber ja schon immer weg. Eine weitere gute Idee war, zu beschließen, dass unsere Jungs inzwischen groß genug sind, um zwei Stunden allein zu Haus bleiben zu können. Solange sie während dieser Zeit an ihren Geräten saßen, mussten wir uns keine Sorgen machen, dass sie auf dumme Gedanken kämen. Jana und ich sind entweder in die Stadtbibo, neueste Magazine und Kunstbücher bei Kaffee und Kuchen schmökern, oder in die hiesigen Supermärkte, um gemeinsam kulinarische Schmankerl fürs Wochenende zu finden. Oder auch mal ins Torekällberget Cafe bei uns um die Ecke.


Auch Scania möchte möglichst gesunde Mitarbeiter. Aber anders als bei Cummins gibt es z.B. keinen finanziellen Anreiz möglichst viele Schritte am Tag zu machen, sondern es werden Sportanlagen mit Hallen, Kraftraum und Pool vergünstigt angeboten - günstig gelegen, gleich neben öffentlichen Lauf- bzw. Langlaufstrecken.
Ebenso Arztbesuche im eigenen Hälsocenter.
Zeckenschutzimpfungen waren fast ein Pflichtprogramm.
Mein Arzt war übrigens Johannes aus Deutschland.
Für die Kinder der Mitarbeiter wird das Sommer Camp angeboten. Das ist sehr begehrt und hat Felix gut gefallen. Er war zweimal dabei, Henry war leider noch zu jung. Für ihn aber auch noch für Felix haben wir über den städtischen Energieversorger gute Kurse wie Schwimmen, Fussball etc. gefunden.
Nicht zu vergessen, auf Öland und in Sälen gibt es die preiswerten Scania-Appartements.
In Sälen waren wir ja zweimal und freuen uns, dass Felix und Henry Ski fahren gelernt haben.

ALSO
Das insgesamt Beste an diesem Assignment war ganz klar die Gelegenheit zur Reflexion. Kein Hauseigentum und so gut wie keine Projekte und dementsprechend ausreichend Zeit drängten förmlich zum Überdenken des bisherigen Lebenswegs, der Werte und Prioritäten. Nicht zuletzt Dank MMM haben wir uns rückbesonnen, wo wir schon mal waren und worauf was wirklich zählt. Also, wir selbst und unsere Kinder und auch die Familie. Aber auch Ausgabenkontrolle. Ich habe eine vollkommen ausreichende Gehaltsposition gefunden, mehr zu tun für mehr hieße die Stufe des „self-aware losers“ zu verlassen um ein „clueless“ zu werden (Gervais Principle) und das wäre kontraproduktiv.
Ausserdem, nach anfänglichen Rückfällen in alte Muster, z.B. sich mittelmässige Cummins-Präsentationen anzusehen und Selbstgefällig- keiten beiwohnen zu müssen, hatte ich beschlossen, einfach nicht mehr zu den wöchentlichen Telekonferenzen zu gehen und überhaupt den selbtsinitiierten Kontakt mit Cummins-Leuten von meiner Seite aus auf Null zu fahren. Ich denke, dass hat meine Position nur gestärkt.
Als zum Beispiel mal so ein Cummins-Wannebe selbstlobend bemerkt „Great minds think alike“, raunt mir mein Nachbar nur zu „And fools seldom differ“.
Ich habe also meine eigene Suppe gekocht, z.B. bei Scania bisher nicht praktizierte Simulationen angeleiert und die Ergebnisse mit deren fähigen Technikern und Prüfständen am Motor verifiziert. Die Rückmeldung an Cummins haben dann schon andere besorgt.
Das Schöne bei Scania für Leute mit Erfahrung ist die Freiheit, sich die Arbeit selbst suchen zu dürfen. Als es mir mit Versuchsbetrieb erstmal genug war habe ich mich mit Simulationen beschäftigt. Fähige und vor allem willige Leute helfen einem ganz schnell. Zumal ich nicht ganz unbedarft war, lief auch das wie am Schnürchen.


Im Grunde war mir das ziemlich schnell unbewusst klar und spätestens seitdem ich die Ausstiegsplanung betreibe, war der, ich nenn es mal, Wechsel zu Scania, ganz offensichtlich der Anfang vom Ende. Ich habe jetzt ein paar Firmen erlebt um sagen zu können, dass man mit Cummins gut den „stash“ füllen kann, der Preis dafür aber auch hoch ist. Scania offeriert genau das Gegenteil. Nur muss ich gestehen bin ich der gesamten Sache doch überdrüssig geworden über die Jahre. Trotz unbestreitbaren technischen Fortschritts und Arbeitserfolgen ist doch alles immer das gleiche und mir geht einfach zu viel Zeit dafür drauf.
Ich möchte viel lieber andere Sachen machen und der Mangel an Zeit dafür macht mich dann immer nur wuschig. Teilzeit (seit September 2015) ist schon mal ein guter Anfang, aber mal eben so spontan machen was einem gerade passt geht trotzdem nicht. Ich weiß, vor dem Dilemma stehen (fast) alle, was aber nicht heißt, dass man nichts dagegen tun kann. Also heißt es wirtschaften, und das haben wir die letzten Jahre wieder viel besser getan.
“Why would I want to spend all my money on ‘stuff’ when I don’t even own my own time yet?” Dividend Mantra

In diesem Sinne
Unser Familienleben hat einen Boost bekommen. Mit mehr Familienzeit waren wir extrem viel gemeinsam unterwegs auf Entdeckung und neue Sachen probieren und hatten, ganz wichtig, mehr Muße uns um uns zu kümmern.
Wir erinnern uns gerne an Wasserschlachten im Garten, Kartenspielen bei Kerzenschein in den Hütten, Kotte-(Kienappel)Schlachten beim Wandern, gemeinsame Saunagänge, einfach mal zu Fuß für ein Eis in die Kaufhalle, nach Arbeit Langlaufen (mit Felix), das tägliche Lego-Spiel am Morgen (mit Henry), oder Flohmarkt und Tingeln in Stockholm.
Fahrradfahrten waren keine extra Sonntagsausflüge, sondern normale gemeinsame Wege wie zum ICA oder zum Training.
Unser Henry hat die bemerkenswerteste Wandlung durchgemacht. Wie viel davon jetzt Schweden zugeschrieben werden kann sei dahingestellt. Das Zeitnehmen und die Beschäftigung mit ihm waren jedoch sicher einer der Haupttrigger. Am Ende der drei Jahre war nichts mehr von seiner zuweilen extremen Bockigkeit und Unlust und viel weniger vom Wettbewerb mit Felix zu spüren. Und unser Felix hat sich sehr wacker geschlagen. Unterm Strich war der Wechsel und manche Zeiten für ihn wohl am schwersten, aber er hat aus allem seinen Nutzen gezogen und ist daran gewachsen.
Und alle ziehen wir mehr denn je an einem Strang. Yes.

Und sonst so
Unser langer Trip in arktische Gefilde Ende 2012 barg die Hoffnung des Erlebnisses einmal das Polarlicht mit eigenen Augen zu sehen. Damals und auch in der restlichen Zeit hatten wir leider nie die Gelegenheit oder das Glück. Was sollen wir also sagen, als wir vollkommen unerwartet Mitte März drei Monate vor unserer Abreise von unserer Terrasse aus in Södertälje grüne Schwaden beobachten können. So muss es sein.
Ach so, die Sonnenfinsternis 2015 haben wir auch gesehen. Der Himmel war zwar bedeckt, aber Jana hat mal vorsorglich geschaut und mich dann auf Arbeit angerufen. So schnell hatte ich meine Kollegen noch nie gesehen (ausser beim Innebandy).

Was lustiges noch zum Schluss, der Name Bodin ist ja so was von Schwedisch und dazu dann noch Thomas (habe meinen Nachnamen 2012 mit der Einbürgerung geändert), das sorgte allenthalben für Verwirrung: Wieso ich denn kein Schwedisch spreche?


Die letzten Wochen
...waren gut durchgeplant. Muss man ja machen, wollten bloß keinen Stress. Bevor wir zur Mittsommernacht in den Schären zu unserem letzten Trip aufbrachen hatten wir die letzten grossen Besorgungen und ersten Umzugsvorbereitungen bereits erledigt. Und weil die Zeit danach knapp sein würde, haben wir auch die Verabschiedungsrunden schon gestartet. Jana war mit den Jungs bei Nezelius’. Gustafssons waren bei uns zum Grillern. Auch bei Ussners waren wir nochmal. In der Schule hat Jana auch die Runde gemacht. Und auf Arbeit habe ich nach Mittsommernacht quasi nur noch für einen leeren Schreibtisch gesorgt und mich von meinen Kollegen verabschiedet.
Die russischen Umzugshelfer brauchten drei Tage zum Packen und Verladen. Bei ihnen waren die Reste Wodka und Kräuterschnaps in sicheren Händen. Vorher hatte ich nach zunächst langem inneren Ringen, aber dann doch gern, das gute Birkenholz abgegeben, und zwar an Andreas Dahl - wir hatten uns ziemlich gut verstanden. Was schenkt er mir daraufhin? Schnaps! Aber einen echten guten schwedischen. Was soll’s, den habe ich wie unsere Weinpullen unter „Kitchen items“ deklariert (auf Empfehlung des Umzugskoordinators) und damit jetzt in Columbus im Küchenschrank stehen für besondere Anlässe.
Die Dachbox wieder zu verkaufen war kein Problem. Kinderbücher, Elektrogeräte und Kinderskier haben wir an deutsche Kollegen verschenkt.
Während des Packens sind wir ins Scandic umgezogen, zehn Minuten zum Haus. Wenn vorhanden, nehmen wir Familienzimmer, da heißt es allerdings auch schon mal zusammenrücken. Das Frühstück in dem Hotel war aber wieder sow as von gut.
Zwei Tage lang haben wir nach dem Packen saubergemacht. Gelegenheit für die Jungs, noch mal Zeit bei „Tante Hanna“, Janas Freundin, zu verbringen und sich von ihr zu verabschieden.
Am vorletzten Abend treffen wir uns mit Martin, Marco und deren Papa, er führt uns zu (s)einem echten Italiener für Pizza. Na klar, jetzt, wo wir uns aus dem Staub machen müssen, erfahren wir wo die beste Pizzeria der Stadt ist.
Den dann wirklich letzten Abend in Södertälje sitzen wir im lauschigen, sonnendurchfluteten Garten des Barolo bei Fisch und Wein. Das Essen schmeckt, der Abend ist goldig, die Gedanken kreisen aber schon um das kommende Ungewisse.
Nach den zwei Hotelnächten in Södertälje quartieren wir uns im Gamla Stan in Stockholm ein.
Den darauffolgenden Tag haben wir ganz für uns, keine Verpflichtungen. Das war unser Puffertag für den Fall der Fälle. Wir wandern alte Wege, beobachten das Treiben am Nybrokajen und snacken beim Sjöcafeet. Das elegante Abendessen lassen wir uns von einem hochnäsigen Kellner im noblen Marten Trotzig servieren. Wir arrangieren für Henry einen Anruf bei Martin und tingeln danach noch am Kai entlang.
Die Hausübergabe am nächsten Tag hat leider etwas länger gedauert als geplant. Dann noch mal zum Recyclingcenter für was keiner haben wollte und mein Telefon bei Scania abgegeben. Vor dem Weg zum Airport kehren wir noch für einen späten Lunch beim Panda Express in Heron City ein, es hat uns immer so gut geschmeckt dort. Danach geben wir das Auto bei ALD ab. Entgegen aller Erwartungen dauerte das nicht länger als fünf Minuten.
Das Flughafenhotel hat eine direkte Verbindung zum Terminal und einen schönen Pool im Aussenbereich. Und wir sehen noch mal einen Regenbogen, ha, wie zu Beginn dieses dreijährigen Ausflugs.


Abflug am nächsten Morgen, dem 1.Juli 2015, ist gegen humane zehn fünfundzwanzig.
Wir wollen an diesem Tag ja nur bis New York.

Columbus kann noch etwas warten...


Eine musikalische Assoziation für Södertälje gibt es sogar (für die Fahrten im A4): Velociraptor! von Kasabian



Und ganz zum Schluss Buchempfehlungen:
• The Year in Sweden, ISBN 978-91-7126-165-6
• National Parks of Sweden, ISBN 979-91-7126-160-1
• True North, ISBN 978-91-7126-016-1



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