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Umspannwerk

1975 - 1990


Umspannwerk. Mit Nummer versehen, kann eine Adresse auch mal so lauten. Kurz nach meiner Einschulung in Halle sind wir von Dessau nach Dölbau gezogen. Vater sollte das strassennamengebende Umspannwerk leiten.
Obwohl ich dies quasi als das Zuhause meiner Kindheit betrachte, habe ich nur sieben Jahre in sozusagen Vollzeit dort verbracht. Sonst war ich mindestens werktags, und während des Wehrdienstes natürlich auch länger, in einem Internat oder Wohnheim zugebracht.

Die meisten Bilder, bis auf die mit gepflegtem Rasen, sind erst später entstanden, im Jahr 2000, auf einer unserer letzten Runde bevor wir in die USA gegangen sind. Da stand das Haus schon eine Zeitlang leer bzw. war kurz vor der Übernahme durch einen neuen Eigentümer. Wir konnten also zwar nicht rein, Innenaufnahmen aus dieser Zeit habe ich also keine, aber zumindest auf das Gelände.

Wir bewohnten eine Haushälfte dieses Hause am Ende der Strasse. In den dreissiger Jahren des vorherigen Jahrhunderts gebaut, wurden diese Häuser ursprünglich noch mit Kohle geheizt. Diese schöne Braunkohle, die über den ganzen Gehweg gekippt wurde und wir nach Feierabend und Schule bis in den Abend hinein in den Keller geschaufelt haben. Dabei wurde meistens nur einer der unteren Kachelöfen sowie der Küchenofen angeheizt. Das sogenannte gute Zimmer mit dem anderen Kachelofen wurde zumindest in der Anfangszeit nur zu Weihnachten benutzt. Dementsprechend war es im oberen Stockwerk im Winter so kalt, dass sich an den Fenstern im Treppenhaus Eisblumen bildeten. Das sich auch im oberen Stockwerk befindende Kinderzimmer wurde dann quasi ausser zum Schlafen nicht benutzt. Das Zubettgehen erleichterte immerhin eine kleine Heizdecke. Mein Spiel- und Schularbeitsplatz war dann also im Wohnzimmer. Erinnere mich noch, wie ich zur Fernsehzeit immer aufgerufen wurde, leiser in den Legos zu wühlen. Kann mir auch vorstellen, dass meine Bastelarbeiten mit dem ganzen Kleber und der Nitrofarbe für meine Flugzeugmodelle auch nicht immer wohnzimmergeeignet waren.


Noch heute mache ich Witze, wenn ich eine dieser kleineren unbemannten Umspannstationen oder auch größeren -werke sehe: "Da könnte ich wohnen, da würde ich mich wohlfühlen", besonders wenn bei hoher Luftfeuchte die elektrischen Entladungen die Leitungen summen lassen.
Links in der Entfernung eines der grossen Kompressorhäuser. Ich habe mir ja auch regelmäßig als Ferienarbeiter im Werk ein paar Mark verdient. Eine der Aufgaben war immer das Aufwischen des Öls, was die Kompressoren über Nacht verloren haben. Maschke, einer der Angestellten, hat die Dinger gerne schon wieder eingeschaltet, während wir noch zugange waren. Zumindest hat er eine Zehntelsekunde vorher sein "Nicht erschrecken" gerufen. Vielleicht gibt es Karma wirklich, sagen wir nur so viel, statistisch gesehen hätte er länger leben können.
Eines Nachts bin ich mal durch ein prasselndes Geräusch geweckt geworden, guck aus dem Fenster und sehe ein ordentliches Feuer am Kompressorhaus. Aber es tut sich nichts, die auf der Schaltwarte pennen wahrscheinlich. Also habe ich meinen Vater geweckt und wenig später war Bambule. Als ich ihm am nächsten Tag nochmal alles berichte, handele ich mir noch den Vorwurf ein, warum ich nicht eher Bescheid gesagt habe.


Das Werk war so präsent, selbst durch ein Loch in der Schuppenwand fällt der Blick auf die Leistungsschalter, die, natürlich unangekündigt, diesen übelsten Schaltungsknall abliessen.


Meine Verbindung zur Welt war die Bahn, zumindest als ich noch kein Moped hatte, bzw., später dann auch das Motorrad, nicht nehmen konnte. Die Bezirkshauptstadt Halle an der Saale war nur eine Station entfernt, aber das hiess selbst für Züge aus Halle, geschweige denn aus der Gegenrichtung Leipzig, keineswegs immer Pünktlichkeit. Von der Strasse vom Bahnhof zum Dorf ging jedenfalls ein Feldweg ab als Abkürzung zum Werk. Den lernte ich im Verlauf kennen wie die besagte Westentasche. Da liegen bestimmt noch Scherben der Flasche Metaxa, die ich meinem Bruder schenken wollte und die mir beim Tragen der Tasche auf der Schulter herausgerutscht und zerschellt ist.


Beginnen wir den Rundgang.

Wie überrascht war ich, noch eines dieses Gestelle zu finden, die meine Mutter bei meinem Vater für ihre Pfingstrosen in Auftrag gegeben hat und derentwegen es wieder diesen typischen Zoff zwischen meinem Vater und mir gegeben hat. Ich habe halt irgendwie nicht richtig gehalten und er hat keine Geduld aufgebracht, jedenfalls hat er mich weggeschickt und sich dann beim gleichzeitigen Halten und Schweissen die Augen verblitzt. Das geht ja auch nicht so schnell wieder weg, also war die Stimmung noch lange gedrückt, obwohl ich nicht genau weiss wie lang, weil das von der üblichen Laune dann wohl nicht mehr zu unterscheiden war.


Das ist eine wunderschöne Erinnerung: mein Teich. Was für ein heiles Stück Welt. Ich war begeistert von der Natur und wieder und wieder wälzte ich meinem kleinen Naturführer aus der Reihe "Ich weiss etwas" zum Thema Tierbeobachtungen am Wasser im Wechsel mit meinen Ausflügen zu den Teichen in der Umgebung. Mit der Zeit hatte ich zum Beispiel Gelbrandkäfer, gefräßige Libellenlarven, Teichmuscheln, Rückenschwimmer, Wasserläufer sowieso, Schilf und auch manch kleine Plötze und Stichling angesiedelt. Alles muss im Einklang gestanden haben und für eine ziemlich gute Zeit beherbergte dieses Biotop ein blühendes Leben und Gedeihen, das mich mit stundenlangen Beobachtungen und seiner Pflege beschäftigt hat.


Die Rückseite und unsere Hälfte des Hauses. Unspektakulär. Anstelle der Hecke stand zu meiner Zeit nur ein Maschendrahtzaun. Mein Vater hatte in Eigenbau mit einem Waschmaschinenmotor einen Rasenmäher gebaut, der mir regelmäßig anvertraut wurde. Für die Schaukel war ich wohl schon zu alt als wir herzogen. Nur an einmal kann ich mich erinnern, als meine ungestümen Cousinen aus Coswig zu Besuch waren und ich mit der Annett auf dem Ding so wild unterwegs war, dass uns mein Vater mehr als einmal zusammengestaucht hat.
Oben rechts besagtes Kinderzimmer für meinen Bruder und mich. Wir hatten jeder ein Klappbett, also was man tagsüber hochklappt und so verschwinden lässt. Anders wäre das auch gar nicht gegangen, hätten wir doch sonst nur einen schmalen Gehbereich zwischen den Betten gehabt, mehr Platz war nicht. Später, als ich dann schon wochentags in der Berufsschule war, haben wir noch das Zimmer oben links dazu bekommen, weil eine der beiden Parteien in der anderen Haushälfte verstorben ist und nun die Zimmer gleich verteilt wurden.
Hinter dem schmalen Fenster dazwischen verbirgt sich das Bad. Früher auch mit Badeofen, der einmal die Woche, am Samstag, angeheizt wurde und einer strengen Reihenfolge gemäß die Familie gebadet hat. Sonst hiess es halt kaltes Wasser und Waschlappen. Einen Spass habe ich mir mal daraus gemacht, über Nachbar's Katze, die genau unter dem Fenster sass, einen halben Zahnputzbecher Wasser auszuleeren.


Der Blick in die andere Richtung zeigt den Schuppen. Unter dem Dach hatte ich mal ein Räubernest ausgerufen für mich und meinen Freund, den Nachbarsjungen. Ich wollte immer mal da oben schlafen, hatte auch Campingliegen aufgestellt, aber dann entweder doch Scheu vor der eigenen Courage gehabt oder mir wurde es ausgeredet.
Den Anbau daneben hat tatsächlich mein Vater gebaut. Dieser Anbau diente vornehmlich der Unterstellung meiner und meines Bruder Mopeds und Motorräder. Neben dem Anbau war der Platz für den Kompost, begrenzt durch eine kleine Mauer, auf der wir, wenn auch so gut wie nie zeitgleich, aber doch beide immer sassen und schraubten.
Im ursprünglichen Teil des Schuppens war das ganze Gartengerät und die Fahrräder, die ich - legendär - im Auftrag meines Vater immer pflegen sollte (seine Worte).
Das wie sich herausstellte vielleicht beste an dem Räubernest war, dass da niemand so leicht hinkonnte oder -wollte. Als Versteck für eine misslungene Sägearbeit an einem Matchbox-Auto war der Dachboden gut geeignet. Wegwerfen wollte ich es nicht, aber meine Mutter fragte immer wieder nach dem Teil.


Links vom Weg in Richtung Schuppen stand mal ein grosser Hauspflaumenbaum. Wir haben Planen ausgelegt und wie die Wilden geschüttelt. Tolles Mus hat meine Mutter ein- oder zweimal gemacht. In einem alten Herd im Keller stundenlang gekocht. Einmal vielleicht zu lang, die Masse war dann doch schon teerartig und kaum auf das Brot zu bringen.
Aber das scheint ein Phänomen dieser Generation zu sein: "der ganze Dreck", wenn halt die Pflaumen machen was sie wollen. Da half kein protestieren, der Baum wurde entsorgt. War übrigens nicht der einzige Obstbaum. Und jetzt steht da so ein beknackter Essigbaum. Unglaublich.


Das Gewächshaus. Das ultimative Projekt meines Vaters, soweit ich es beurteilen kann. Sein ein und alles. Hat er aber auch viel Zeit und nicht wenig Aufwand hineingesteckt. Das Material, wie zu DDR-Zeiten üblich, war viel "Reuse", wie man heute sagen würde. Ich erinnere mich, wie er gerade am Wochenende, aber wohl auch sonst unter der Woche mal auf einen Sprung von seinem Büro gegenüber, quasi ständig am Temperaturregeln und Lüften war. Dazu hat er später sogar eine Automatikbelüftung mit Klappfenstern installiert. Auch eine Heizung gab es interessanterweise. Als er den Betriebsstellenleiter, wie seine Tätigkeit offiziell hiess, an den Nagel hängen durfte, war er Spezialist für Abwärmegewinnung, mit denen die betriebseigenen Wohnhäuser betrieben wurden (und demzufolge es zu einer kleinen Wohnraumvergrößerung infolge Abtragen der Kachelöfen kam) und er es irgendwie geschafft hat, sein Gewächshaus mit anschliessen zu lassen.
Zum Bau ist noch zu sagen, dass er meine Mutter wieder fürchterlich aufgeregt hat, wenn er zum Beispiel am Wochenende zur besten Kaffeetrinkenzeit und für alle Nachbarn sichtbar in der prallen Sonne auf dem Gewächshaus sass, um irgendwelche Schutzfarbe aufzutragen.


Meine Linde. Ein Traum. So ungünstig die Wohnlage insgesamt war um Freunde zu finden, so viele Möglichkeit gab es für ein bisschen "Auslauf". Den Baum habe ich mir schnell erobert. Als ich einmal gemerkt habe, wie ich da hoch komme, habe ich nicht nur einen Sport daraus gemacht, in immer neuen Rekordzeiten bis in die wirklich höchsten Lagen zu steigen, sondern auch angefangen einen kleinen Verschlag zu bauen und an fetten Seile zu schaukeln. Wahrscheinlich hat mir mein Bruder bei den Seilen geholfen. Mit dem Verschlag und ein paar kleinen Stufen ging es aber nicht lange gut. Mit Nägeln und Obstkistenholz kann man halt nichts dauerhaftes bewerkstelligen.
Der Krug geht jedenfalls solange zu Wasser, bis er bricht. Meine immer neuen Ideen, wie man schaukeln könnte, haben mich unvorsichtig werden lassen und ein Fehlgriff und Absturz waren unvermeidlich. Ich bin doch einige Meter tief gefallen und der Aufprall hat mir so die Luft genommen, dass ich nur noch ins Haus humpeln konnte.


Unser Charly. So eine Katze gibt es nicht wieder. Ist uns zugelaufen, aus dem Dorf, wie wir erst vielleicht ein Jahr später erfahren haben. Kurze Beine und dank Mutter's mitgebrachten Essensresten aus der Betriebsküche der Champignonzucht - besonders Kartoffeln mit Sosse hat er gern verputzt - mit nicht zu verhehlendem Bäuchlein. Bei mir hat er immer in einer ganz bestimmten Art im Arm gelegen und beim Vater während des Abendbrotes auf dem Schoss sitzend sich die Häppchen vom Brotteller geholt - aber nur die vorn liegenden für ihn bestimmten. Strich er um die Beine und lief zur Tür war die Ansage klar, ebenso wenn er wenig später auf den Wohnzimmerfenstersims sprang, dann wollte er wieder rein. Wenn die Erde feucht war, mussten wir ihm seine Pfoten erst mal unter das fliessende Wasser halten, anders war ein Putzen aussichtslos. Einmal ist er bei Revierkämpfen ziemlich ersthaft verletzt worden. Mein Vater hat sich überraschend aufopfernd um ihn gekümmert und unter anderem mit eingeflößtem Eigelb wieder aufgepäppelt. Mit dem Vorruhestand meiner Eltern ist er mit ihnen im Wohnmobil auf Reisen gegangen. Ich vermisse ihn.


Dann machen wir mal einen Schritt nach draussen. Dieser Bereich gehört quasi auch noch zum Zuhause.

Die nach dem Umspannwerk benannte Strasse verlor sich in Richtung des Kabelsketals in Feldwege, die zum einen nach Osmünde und zum anderen nach Kleinkugel führten. Ich war froh, dass wir im letzten Haus der Strasse wohnten, einfach weil man unbehelligter war und sich unbeobachteter fühlen konnte. Als richtige Versuchsstrecke nach unseren Basteleien am Motorrad wir die Strasse nicht sehr geeignet, dafür war die nicht weit entfernte B6 besser, aber, um mal das Betriebsmoped meines Vaters für eine kleine nächtliche Spritztour zu entführen, hat es gereicht.
Die Baracke rechts im Bild diente den selten einquartierten Monteuren der Energieversorgung.


Nicht die Strasse runter, sondern sich rechts haltend an den Baracken vorbei lag diese Doppelgarage. Meines Wissens stand die immer leer, das heisst, nur so lange, bis meim Vater seine Hand darauf hatte. Soviel ich weiss, gab es noch Zoff, weil er das Ding immer noch nicht beräumt hatte, als sie schon weggezogen waren.
Gegenüber der Maschendrahtzaun, also die Werkseingrenzung, war zu meiner Zeit mit meterhohen Brombeeren zugewuchert. Weiss ich auch noch wie gestern: einer der heissen Ferientage, ich auf Streifzug, diese Hülle und Fülle an Brombeeren entdeckt, zerkratze Arme, die Enttäuschung beim Fallenlassen ausgerechnet der besten Beeren und dann wieder die süsse Belohnung.


Zu jeder Wohneinheit gehörte eine Garage; unsere war die vorderste. Dieser Garagenkomplex lag allerdings gegenüber der Strasse, was insofern lästig war, weil ich immer meinem Vater Bescheid sagen sollte, dass - und nicht wenn - das Essen fertig war. Egal, was er versprach, ich musste quasi immer losgeschickt werden um ihn zu holen. Immerhin, besser als Kneipe könnte man sagen.
Witzig ist, dass der Schein trügt. Was als Aneinanderreihung von Einzelgaragen aussieht, verbirgt ein Gebäude ohne Trennwände.


Wenn ich diese Bilder so sehe, fallen mir noch haufenweise Stories ein, aber für die werde ich einen andern Platz finden. Kommen wir also zum Schluss.

Es gibt doch Innenaufnahmen. Nicht viele, aber ein paar aussagekräftige. Dieses liegt mir besonders am Herzen. Von meinem Vater habe ich ja viel gelernt. Das bleibt nicht aus, so oder so. So sieht meine Werkstatt jedenfalls nicht aus. Wahrscheinlich brauchte man eh das eine oder andere Teil, wenn man sich etwas Platz auf der Arbeitsfläche verschaffen wollte. Gerechterweise muss ich sagen, nachdem ich mich oft genug über den Platzmangel beschwert hatte war da normalerweise schon eine A4-grosse Fläche frei. Aber dass mit der Wende plötzlich Zugang zu allerlei neuem Werkzeug und dergleichen bestand, hat der Sache eben auch nicht wirklich geholfen. Aber davon abgesehen, viel gelernt. Immer ungeduldig und fordernd der Mensch, aber er hat mir doch sehr, sehr viel vermittelt.


Provisorien zeichnen sich durch ihre BestäŠndigkeit aus. Ich kann's beweisen. Meine Mutter war es leid, dass die Schuppentür nicht über ein ordentliches, funktionierendes Schloss verfügte, lediglich über diese sogenannte Überfalle. In Ermangelung einer besseren Lösung hat sie kurzerhand diesen verkeimten und wahrscheinlich irgendwo herum liegenden Fahrradbremshebel mit einer Schnur versehen zweckentfremdet. Das Ding hängt seitdem. Mindestens zehn Jahre. Sowas blödes, immer braucht man zwei Hände zum Ver- und Entriegeln der Tür. Aber das nun wirklich tolle ist, dass doch tatsächlich jemand auch noch irgendwelche Farbe auf den rostigen Verschlag drauf gepappt hat.





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